Gedanken zur Malerei und Kunst - eine persönliche Anmerkung

Der Maler malt und sein Anlaß ist die Malerei“

In dieser Aussage Gert Selles wird meine Haltung zur Malerei deutlich. Die Aussage formuliert - in Form einer Sentenz - das Verhältnis der Kunst zur Malerei als den thematischen Kern dieser Darlegung. Dem Bild selbst wird hier nur eine sekundäre, untergeordnete Bedeutung zugedacht. Im Mittelpunkt dagegen steht der Blick auf den Kontext, den Wirkzusammenhang, von Entstehung und Daseinsberechtigung des gemalten Bildes. Der Blick auf das Bild bleibt zunächst peripher.

Bei einem solchen Denkansatz stellt sich die Frage nach dem Maler als Künstler und nach seinem Verhältnis zur Kunst: wer ist Künstler, aber vor allem, was ist Kunst? Es ist festzuhalten, daß der Kunstbegriff, wie er in und von einer breiten Öffentlichkeit verstanden wird, alle möglichen Definitionsgrenzen überschritten hat. Was denn Kunst ist, ist nämlich weder durch eine ‘Kunst’, die in der Gesellschaft gemeinhin Anerkennung gefunden hat, noch durch ein vermeintliches Wissen über die Kunst von Experten und Kunstinteressierten bestimmbar.

Was denn Kunst ist, dieser Frage verweigert sich heutzutage jede eindeutige Antwort. Die Frage bleibt weiter offen und eröffnet ein rein hypothetisches Betätigungsfeld für alle, die sich darauf einlassen. Dies gilt gleichermaßen für die Frage nach dem Entgrenzungsprozeß, wie der Künstler ihn intendiert, in dem er z.B. die klassischen Werk- und Bildgattungen aufhebt.

Die Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit trägt zu der Auffassung bei, was sich heutzutage als ‘Kunst’ entpuppen möchte. Hieraus allerdings ergibt sich eine nicht überschaubare Zahl von gleichzeitig existierenden Meinungen, die aber in ihrer Gesamtheit nichts anderes sind als ein Sammelbecken möglicher Deutungsmuster über Kunst und ihrer Gegenstände. In Wahrheit: die Frage nach der Kunst bleibt offen.

Boris Groys bietet einen Denkansatz, sich einer möglichen Antwort zu nähern. Hierbei ersetzt er den ‘allgemein' etablierten aber untauglich gewordenen Innovationsbegriff in der Kunst durch den Begriff des Paradigmawechsels und meint damit einen Wechsel der Werte. Denn die Beschäftigung mit Kunst handelt zunächst vom Profanen, das jederzeit dem Verschwinden ausgesetzt ist. Es wird zur Kunst, was in einem Wechsel der Werte innerhalb unserer abendländischen Kultur eingegliedert und in unseren „kulturellen Archivierungsräumen“ z. B. in den Museen aufbewahrt wird. So erlangt eine ästhetische, zunächst profane Arbeit, über diesen Prozeß künstlerische Bedeutung und Geltung. Die Arbeit selbst wird zum Kunstwerk. Hier wird ein Vorgang beschrieben, der beispielsweise auch auf die Marktwirtschaft übertragbar ist. Ein neues Produkt wird eingeführt und die Art der Präsentation befreit es von seiner ursprünglichen Unverbindlichkeit und weist dem Produkt eine andere, durch das Marketing bestimmte Zielsetzung zu. Die Frage nach der Kunst als spezifisch Künstlerisches bleibt also offen.

Für meine Arbeit indes ist die Frage, dieses Problem, nicht mehr von Bedeutung.

Die Malerei vermag sich aufgrund ihrer Geschichte an der Auseinandersetzung mit Kunst in der Öffentlichkeit nicht zu beteiligen. Ihr ist zwar die Anbindung an Kunst implizit, jedoch nur hinsichtlich ihres historischen Verständnisses. Innerhalb der bestehenden Diskurse in der Kunst spielt die Malerei nur noch eine periphere Rolle, wenn überhaupt. Die von Jan Hoot als Kurator organisierte neunte Dokumenta in Kassel belegt diese Vermutung: so betrachtete Jan Hoot sie als den Abschied von der Malerei. Hier wurde die Malerei selbst zur Historie, also zum reinen Dokument. Setzt man dies als Übereinkunft voraus, so ist man nicht verwundert darüber, daß in der zehnten Dokumenta die Malerei fast gänzlich verbannt wurde. Ob die Malerei sich irgendwann an den Diskursen beteiligen kann, also Teil einer entgrenzten ‘Kunst’ wird, wird die Zeit zeigen.

In Anbetracht dieser entmutigenden Perspektiven stellt sich trotzdem die Frage, warum ein Maler überhaupt noch malt. Meiner Meinung nach ist die Malerei ein eigener Diskurs, welcher der Frage nach der ‘Kunst’ nicht bedarf. Wenn die Meister der Klassischen Moderne bestrebt waren, das Bild unter allen Umständen von überlieferten Funktionen zu befreien, das Bild autonom zu machen, so ist diese Entwicklung heute zu einem Endpunkt gelangt. Die Malerei im historischen Sinne ist entfunktionalisiert. Das Bild ist um seiner Selbstwillen da. Das heißt; es ordnet sich keiner anderen Zweckbestimmung unter.

Ich würde noch einen Schritt weiter gehen. Die Malerei ist zum ersten Mal in ihrer Geschichte frei, da sich ‘Kunst’ oder die Diskurse ihrer entledigt haben. Damit nämlich hat die Malerei alle Fesseln, die sie einengen und begrenzen, abgestreift, sie hat sich von den Zwängen befreit, einen möglichen Kunst-anspruch entsprechen zu müssen. Die Malerei, das Bild, vermag nun, sich unbekannten Räumen zu öffnen.

Diese Räume sind sowohl physischer als auch psychischer Natur und dadurch unbedingt individuell. Sich anderen Räumen öffnen, bedeutet, diesen so vertrauten, eigenen Raum ein Stück weit zu verlassen, sich dem Unbekannten zu stellen und verletzbar zu werden. In Letzterem sehe ich die Grundvoraussetzung für die nötige Lernbereitschaft und Lernfähigkeit. Diese Form der Verletzbarkeit ist hier konstruktiv gemeint, nämlich als eine grundsätzliche Bereitschaft, seinen eigenen Raum zu relativieren, ihn, wenn nötig, neu zu definieren oder, wenn möglich, zu erweitern.

Hier liegt die große Chance - für den Maler, für den Betrachter: Der Maler hat die Freiheit erhalten, den Kern seiner Arbeit zu hinterfragen, der Betrachter, sich auf diese Malerei einzulassen. Eine Erörterung von äußeren Rahmenbedingungen der Kunst entfällt damit. Für den Maler, für mich - und in gleicherweise für den Betrachter, stellt sich nur die eine Frage: Was ist an dieser, meiner Malerei substantiell?


G. Strunk